Teure Blähungen und ein Skandal

Der "Stern" sitzt einer frechen Fälschung auf

Konrad Kujau schrieb "Hitlers Tagebücher"

Peter Koch, Chefredakteur des "Stern", ist kaum zu bremsen: "Die Geschichte des Dritten Reiches muss teilweise umgeschrieben werden", jubelt er. In der Ausgabe vom 28. April 1983 verkündet es das Hamburger Magazin auf dem Titel: "Hitlers Tagebücher entdeckt". Eine Woche später schon wünschen sich alle Verantwortlichen beim "Stern" und im Verlag Gruner + Jahr, die Sensation hätte nie stattgefunden. Da aber hat man sich bereits unsäglich blamiert und muss einräumen: alles gefälscht. Die Serie aus Adolf Hitlers Feder, gebunden in 60 Tagebüchern, ist mit insgesamt 9,34 Millionen Mark beschaffte Makulatur. Dem Hohngelächter weit über die Republik hinaus folgt das juristische Nachspiel. Zu verantworten haben sich der "Stern"-Reporter Gerd Heidemann und ein gewisser Konrad Kujau. Hier ein 1951 als Fotolaborant zum "Stern" gestoßener Mann, der sich als verbissener Rechercheur den Spitznamen "Spürhund" erarbeitet hatte, dort ein Militariasammler aus Stuttgart. Zumindest moralisch mit verantwortlich sind aber auch jene Herren, die das hoch geheime Projekt unter dem Codewort "Grünes Gewölbe" vorbei an jeglicher ernsthafter redaktioneller oder wissenschaftlicher Prüfung betrieben haben. So kann vor dem lärmenden Einbruch jenes Gewölbes kaum auffallen, dass sich Heidemann fatal verrannt hat. Der Besitzer der ehemaligen Göring-Yacht "Carin II" hatte das Schiff teuer renoviert und mit NS-Devotionalien ausgestattet. Das trug ihm Schulden und Kontakte zu Nazi-Größen ein. Über diese lernte er Konrad Kujau alias Konrad Fischer kennen. Der Mann hat sensationelle Ware zu verkaufen. Ein Tagebuch Hitlers, und es soll weitere 27 davon geben. Die Spur führt in die damalige DDR, wo im April 1941 eine Kuriermaschine mit der kostbaren Fracht bei Börnersdorf abgeschmiert sein soll. Heidemanns konspirative Rücksprachen führen bis zum Gruner + Jahr-Boss Manfred Fischer. Und auf einmal gibt es einen Koffer voller Geld. Dessen Anblick löst bei Kujau, wie das Gericht befinden wird, eine "Explosion des Fleißes" aus. Kujau trimmt junges Papier auf alt, schreibt wie besessen, wobei er sich unter anderem auf eine Hitler-Chronik von Max Domarus stützt. Dass ihm unterwegs die passende Schrifttype "Engravers Old English normal" zur Verzierung der Tagebücher mit den Initialen A und H fehlt und er auf mehreren Bänden statt des A ein F verwendet, ist ein Malheur ohne Konsequenzen. Denn Kujau liefert zur Kontrolle seines Werks die Schriftproben selbst und weitere Zertifikate gleich mit dazu. Die sind auf einer Maschine geschrieben, deren Typen es erst seit 1956 gibt. Auch das Siegel auf den Kladden ist falsch. Egal. Als aus dem Bundeskriminalamt nach Prüfung einer Seite die Warnung kommt, es könne sich um eine Fälschung handeln, weil das Papier danach aussieht, als enthalte es - erst nach dem Krieg verwendete - Papieraufheller, ist der Zug in die Blamage schon nicht mehr zu stoppen. Die wird perfekt, als das Bundeskriminalamt, das Bundesarchiv und das Bundesamt für Materialprüfung sich in Ruhe sieben Bänden widmen dürfen. Die Fälschung fliegt auf. Sie soll Kujau mindestens 2,7 Millionen Mark gebracht haben. Jetzt bringt sie ihm und Heidemann wegen schweren Betrugs vier Jahre und sechs Monate beziehungsweise vier Jahre und acht Monate Haft. Im Juli 1985 freilich kommen beide auf freien Fuß. Beim "Stern" Stühlerücken, zuvorderst in der Chefredaktion: Peter Koch und Felix Schmidt treten zurück. Später durfte dann die ganze Nation noch einmal lachen. Helmut Dietl inszenierte die Farce als "Schtonk" mit Originalzitaten. "Ich habe Blähungen" schrieb nicht nur Uwe Ochsenknecht in der Fälscherrolle. Auch Kujau vertraute das als "Hitler" der Nachwelt an. Diese "Blähungen" hat der "Stern" teuer bezahlt. Langfristig geschadet hat es nicht. Nach jüngsten Analysen ist er mit 7,12 Millionen Lesern Magazin-Marktführer.

zurück